Pos. d. 22t August. 8.

N. 2.

Mein geliebter Ernst: ich danke Dir tausendmahl für Deine lieben lieben Briefe – Aber ach ich bin sehr voll Unruhe, ich hatte schon viel an Dich geschrieben doch indem ich es wieder las überfiel mich eine Angst ob ich doch bei aller Vorsicht könte zu frei geschrieben haben. Mein Ernst wisse doch Alles was ich Dir sagen möchte, wie schrecklich mir es ist – ich wage nichts zu nennen. Wie ich seither nicht mehr mit Gewißheit auf die Erfüllung unserer süßen Hoffnungen hin sehen kann – wie mitten in den heitersten Aussichten, in den lieblichsten Träumen, ich aufgeschreckt werde durch jenen Gedanken der ein weites Feld der fürchterlichsten Ahndungen eröffnet, denen ich mich wie Du weißt, gar nicht überlasse, aber das sichere Ausmahlen unserer Zukunft ist doch nicht möglich –  Mein geliebter Ernst mußt Du denn? ach wenn Du fühlst daß Du mußt dann habe ich ja gar nichts zu sagen, dann darf ich ja gar nicht bitten und Dich zurükhalten wollen, und weiß ja auch daß das gar nichts fruchten würde – Mein lieber lieber Ernst! ach wäre ich bei Dir, ich habe mich noch nicht so darnach gesehnt als seit ich weiß daß Dir Gefahr bevorstehn kann. Ach was theilte ich nicht gerne mit Dir, und soll nichts mit Dir theilen, werde nicht einmahl um Dich wissen – O mein Ernst Gott gebe | 13v daß es nicht dahin komme, ein gütiges Schicksal ändere bald Alles – Vergiß mich und die  Kinder des Johann Ehrenfried von Willich und der Henriette von Willich [Schließen] Kinder nicht Ernst – ich kann zu gar nichts anderm kommen, ich hatte Dir sonst so viel zu sagen, nun ist mir als sei es gar nicht an der Zeit davon zu reden

 Ihre Ängste beziehen sich auf Schleiermachers konspirative politische Reise nach Königsberg, vgl. Brief 2791, 135 – 151.  [Schließen]Lieber Ernst so schön es wäre wenn ich schon bei Dir wäre, so finde ich es doch ganz natürlich daß wir das nicht damals so beschlossen, auch weiß ich nicht gewiß ob ich würde gerne dazu gestimt haben da damals von keiner Noth die Rede war, und es uns ganz wahrscheinlich schien daß wir würden nächstes Frühjahr unser Leben in Ruhe beginnen können. Ohne einen überwiegenden Grund, wie der einer langen Unsicherheit freilich ist, den Du ja aber damals nicht so sahest, hätte ich mich wohl nicht gerne so plötzlich von den Meinigen hier losgerissen. Nein lieber Ernst ich finde keine Schwäche von Deiner Seite in diesem so ganz natürlichen Aufschub – Du wolltest ja Alles erst recht bereiten zu dem schönen Leben Du Guter Lieber. Wenn es Dir auch nahe geht daß ich nicht bei Dir bin, wie es mir so sehr nahe geht, so werfe Dir doch nichts vor – und da hast Du gewiß Unrecht. Gott wie kannst Du nur so was aussprechen wie Du da von nicht verdienen sagest. Mein Ernst nicht verwirrt hat mich dein Brief, ach ich sehe nur zu klar was du nicht rein aussprechen darfst | 14 und was bei allem Heroismus den ich haben mag mir unsäglich furchtbar ist – Mein Herzens Lieber wenn ich Deinen Brief wiederlese wie freue ich mich an jedem herzlichen Worte das mir Deine Liebe gewiß macht, wie wäre ich so sehr froh und glücklich wenn Alles gewiß wäre... Ja ganz bin ich Dein, o Lieber fühle wie mir wohl ist in diesem Augenblick in der sichern Ueberzeugung daß Du mich wircklich liebst, in dem heiligen unbegränztem Vertrauen mit welchem ich mich Dir hingebe. Mir ist als wenn ich bei Dir säße und Deine Wangen streichelte und Deine liebe Stirn und liebe Augen küßte – ach und ich kann es nicht glauben daß wir uns nicht sollten bald wircklich haben. Ja mein Ernst so bald es Dir möglich ist, so hält mich nichts mehr ab die Deinige zu werden, sei es wann es sei – Schreibe mir bald, und wenn Du kannst etwas beruhigendes, doch nur wenn es Dir selbst Ernst damit ist. – Zur Strafe für meine Unart muß ich sie Dir gestehn, nehmlich daß ich einige Blätter, schon früher für Dich voll geschrieben, hauptsächlich Rückblicke auf mein vergangenes inneres Leben, und nicht im Stande war sie so in die weite Welt zu schicken, auch nicht aufheben mochte, sondern verbrannt habe. Vergieb, denn mich straft schon das genug  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich nun nicht mit Dir getheilt habe was ich | 14v gerne wollte. – Wie wohl mir seither gewesen ist kann ich Dir nicht besser beweisen als wenn ich Dir sage daß es bei mir immer Zeichen eines klaren heitern Gemüthszustandes ist wenn ich viel singe; und daß ich diese Zeit sehr viel so vor mir hin aus vollem Halse gesungen, bald geistliche bald Tanz Melodien; überhaupt bin ich recht frisch und lebendig nach meiner Art gewesen, habe mir auch vom Schlafe noch etwas abgezogen, und hoffe mich dahin zu gewöhnen recht wenig davon zu bedürfen.

 Ehrenfried von Willich (d.J.) [Schließen] Mein kleiner Junge hat das Fieber gehabt heute ist es zum erstenmahl ausgeblieben, ich bin seinethalben auch heute von Götemitz zu Hause geblieben wohin Schlichtkrulls sind.  Henriette Herz, vgl. Brief *2784. [Schließen]Heute Morgen war Jette hier und brachte mir Deinen Brief – auch Jette war unruhig und vielleicht mehr als sie mir ausgesprochen hat. Mitunter schoben wir die Unruhe etwas bei Seite und mahlten uns dann das himmlische paradisische Leben aus – o mein Lieber wenn du doch recht wahrhaft glücklich würdest! Noch einen recht lieben Kuß und nun gute Nacht

Heute Morgen ist mir schon ruhiger als gestern Abend es liegt mir doch gar zu fern mir Dich in einer solchen Gefahr zu denken, und du schreibst doch auch wieder so sicher und so ruhig von unserm Zusammenleben wie du nicht köntest wie mich dünkt wenn es so stände wie ich mir dachte. Und | 15 doch kann meine Ruhe sich allein auf die Hoffnung gründen daß das Schicksal zuvorkomme und durch Entfernung alles Andre unnöthig mache. Lieber Ernst denn das ist doch gewiß, wenn was wird, so ist gar nicht vorauszusehn wie schrecklich es für die Einzelnen werden kann – ich will aber gar nicht diesem nachhängen sondern hoffen daß Gott uns geben wird was so himmlisch schön wäre – Morgen schreibe ich wohl an Willich etwas von uns. Jette hat dazu gerathen und ich thue es gerne weil ich selbst fürchte und  Sophie Schlichtkrull [Schließen] Sophie auch meint es würde ihm wehe gethan haben es erst so spät zu erfahren, Deine Erlaubniß habe ich ja. Auch wegen Schlichtkrull drängt Sophie mich sehr und auf eine Art daß es mir schwer wird zu wiederstehn und ich werde es mit Jette überlegen. Auf die Verschwiegenheit dieser Beiden ist sicher zu rechnen und der Grund wegen Kathen fällt weg da der es ja eigentlich weiß, und eine förmliche Anzeige von Deiner Seite ja Keinem geschieht –  Mein Ernst wär ich erst sicher und ruhig in Deinen Armen, und wenn auch nicht sicher und ruhig wäre ich nur bei Dir! Wären nicht die lieben Kinderchens so würde mich nichts abhalten grade um der möglichen Leiden willen zu Dir zu kommen, nun sehe ich aber  korr. v. Hg. aus: dasdaß es beßer ist du stehst dann allein als wenn Du doppelt zu sorgen hättest. Es ist mir ein unbeschreiblicher Trost daß Jette hier ist Dir ist es gewiß auch lieb uns beisammen zu wissen. Schreibe mir auch recht fleißig jezt bitte ich Dich recht darum denn jezt bedarf ich es, aber bedenke auch dabei was zu bedenken ist – ich bin schon angst wegen dieses Briefes

Meine süßen Kinder lege ich Dir ans Herz.  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette | 15v versichert mich oft daß sie Schlei sehr nieb habe, und frägt mich „Mutter hast Du denn Sch. auch sehr nieb? Wild ist sie gewaltig geworden in dieser lezten Woche da Friedchen krank war und ich mich nicht mit ihr recht beschäftigen konte; da ist sie nach eigener Willkühr herum gestreift den ganzen Tag, ich werde etwas zu thun haben sie wieder bei mir fest zu halten

Der Junge ist mir fast noch lieber in seiner Krankheit geworden er ist gar zu zärtlich und freundlich mein liebes Jüngchen!

Lebe wohl mein Herzens lieber Ernst Gott beschütze Dich und stehe Dir bei bei Allem was Du unternimmst – aber wisse auch wie mein ganzes Herz an Dir hänget –

Henriette.

Sophie grüßt Dich herzlich.   Vgl. Brief 2783, 71 – 74.  [Schließen]Auf die Bücher freue ich mich sehr. Und mit großem Verlangen sehe ich einem Briefe von Dir entgegen.

Zitierhinweis

2801: Von Henriette von Willich. Poseritz, Montag, 22. 8. bis Dienstag, 23. 8. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006630 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.