Sonntag d 25t. Decemb. 8

30.

Freitag war seit langer Zeit der erste Posttag trauteste Jette wo ich nichts von Dir bekam. Du hast mich ganz verwöhnt Du süßes Kind und es war mir ordentlich ein wenig fatal. Aber es that mir doch weiter nichts, ich nahm mir nur vor ich wollte Dir desto mehr schreiben. Du siehst aber daraus ist nichts geworden und dies ist der erste Augenblik wo ich dazu komme. Am Freitag war ich recht tüchtig fleißig und sparte es mir immer als Belohnung auf wenn ich fertig sein würde und so kam ich immer tiefer hinein. Des Abends mußte ich nothwendig ein Paar Stunden in einer Geschäftsgesellschaft zubringen. Da wurde viel gesprochen und wenig kam dabei heraus und dadurch wurde ich aufs neue aufgeregt. Ich trank mit  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny erst um 10 Uhr Abends The, und las ihr einen Gesang aus der Odyssee vor,  Vgl. Tagebuch vom 23. 12. 1808: „Aufsaz entworfen“. Es handelt sich vermutlich um die unveröffentlichten sprachphilosophischen Untersuchungen (KGA I/14, S. 107 f.). [Schließen] und dann sezte ich mich hin um noch in der Geschwindigkeit die ersten Gedanken zu einem Aufsaz zu entwerfen, und kam so hinein daß es drei Uhr wurde, und da hielt ich es denn für Pflicht zu Bette zu gehn. Sieh nur arme Jette so bist Du in den Winkel geschoben worden, oder vielmehr so habe ich mich selbst mit Dir angeführt und Dich zur Rosine gebraucht die das Kind hernach doch nicht bekomt wenn man sie ihm auch versprochen hat. Aber Du weißt doch daß das gar nicht schadet und daß Du nicht im Winkel stehst sondern auch jezt schon freien Zutritt ins Arbeitszimmer hast und immer mit im Spiel bist. Ach und wie hast Du erst regiert, und wie habe ich erst mit Dir gelebt und gekost als ich, war es auch gleich so spät, ins Bett kam. Ich erzählte es Dir aber vorzüglich nicht nur damit Du siehst wie es manchmal geht, sondern auch damit Du sähest wie rasend toll und ungerecht ich sein kann.  Sachanmerkung:

Denn ... großen bekam] 
Vgl. Brief und Brief .

großen] Gemeint ist Henriette Herz.
 [Schließen]
Denn als ich heute bei Reimers zwei Briefe auf einmal von unserer großen bekam
und gar keine Zeile von Dir war ich ganz wild, und als die Frauen meinten es könne ja wol sein daß Du nicht habest schreiben können stellte ich mich ganz auffahrend und schrie Was hat sie denn zu thun? den Kindern die Nase zu wischen? da bin ich doch eben so gut noch. Im Grunde aber einzige Jette stekt nur dahinter daß mir wirklich ein wenig bänglich ist,   Vgl. Brief . [Schließen] weil die große in dem ersten Briefe der von Gestern vor acht Tagen ist schrieb sie würde Dir ihn am nächsten Tage mitgeben, und nun kommt er ohne Begleitung von Dir, und im zweiten Briefe schreibt sie kein Wort davon ob Du da gewesen bist oder nicht. Einzige Jette möchtest Du doch recht viel mit Julklaps zu thun gehabt haben oder | 71v was Du sonst willst, nur krank sei mir nicht denn das kann ich gar nicht vertragen. Wenigstens mache mir nicht die Besorgniß darum sondern gerade wenn Dir irgend etwas fehlen sollte schreibe mir wenigstens die zwei Worte daß du nicht wohl bist dann will ich immer ganz ruhig sein in diesen langen fünf Monaten, Dir muß ich nun schon wieder zumuthen es zu vertragen daß ich unwohl bin. Freitag befand ich mich so gut wie gewiß seit drei Wochen nicht; aber Gestern Abend bei Reimers mitten im Weihnachtsjubel überfiel   lies: mich  [Schließen]micht eine bitterböse Kolik die mich die ganze Nacht geplagt hat  Laut dem Tageskalender hielt Schleiermacher am 25. 12. 1808 die Vormittagspredigt in der Dreifaltigkeitskirche. [Schließen]so daß ich heute Früh noch mit Resten von Schmerzen und ganz müde und elend auf die Kanzel ging doch aber sehr zu meiner Zufriedenheit gepredigt habe; ob auch eben so sehr zu Anderen ihrer weiß ich nicht denn das trifft gar nicht immer zusammen. Als ich aber herunter kam war ich auch so elend daß ich mich am liebsten gleich zu Bett gelegt hätte. Ich kann Schmerzen sehr gut aus halten und noch ein leidlicher Mensch dabei bleiben sowol für die Gesellschaft als für den Arbeitstisch aber ich werde danach auch durch den Widerstand den ich leiste mehr ermüdet und geschwächt als ein Anderer. Weißt Du wol ich habe Dich im Verdacht Du bist Schuld daß ich jezt so unwohl bin. Du hast gewiß einmal gewünscht ich möchte jünger sein. Warum kämen mir sonst auf einmal alle die Uebel zurük an denen ich in meinen jüngeren Jahren gelitten habe? Darüber hatte ich mir vorgenommen Dich recht zur Rede zu stellen sobald ich nach Hause käme und Dir so wenigstens noch ein Blättchen zu schreiben mit der heutigen Post. Aber kaum hatte ich mir die nöthigste Ruhe genommen  Laut dem Tageskalender hat Schleiermacher am 25. 12. 1808 mit Alexander von der Marwitz gefrühstückt. [Schließen] so kam ein junger Mann den ich sehr lieb habe und den ich eben nicht viel sehe, da haben wir denn bei einem Stük Spikgans von eurer ganz vortreflichen und einem Glase Wein die Postzeit ganz traulich verplaudert. Das kommt davon her daß die Heimlichkeit mir noch immer Vergnügen macht. Denn hätte der es wissen dürfen daß ich einer Geliebten schreibe so hätte ich ihn ja gleich fortgeschikt.

Gestern habe ich dann recht viel an euch gedacht was für Jubel ihr in Götemiz mögt gehabt haben,   Vgl. Brief . [Schließen] und heute habe ich aus Jettens Brief wenigstens schon gesehn daß viel vor ist und eine Menge Zurüstungen gemacht werden. Denke nur daß  über der Zeilewas mir die Weiber von Reimers gemacht haben. So ein ganz ordinäres hölzernes Leierspielzeug haben sie genommen einen Kerl der wiegt und wenn man unten dreht so klimperts und die Wiege geht, den Kerl haben sie in völligen Ornat gesezt und so haben sie es mir verehrt. Du glaubst nicht was für einen trübseligen Ehemann Du da hast. Ganz de mauvaise grace steht er da und das sieht man ihm an daß er tüchtig unter dem Pantoffel steht. Ich hebe Dir das Kunstwerk gewiß auf bis Du kommst. Ich war übrigens bei dem(?)  über den ursprünglichen Text geschriebender ganzen Freude nur ein empfangendes Mitglied gar kein gebendes denn ich hatte schlechterdings kein Geld in diesen Tagen. Das sind nun so  Röm 8,18 [Schließen] die Leiden dieser Zeit noch, die nicht werth sind der künftigen Herrlichkeit ; wenn Du erst hier bist wollen wir Geld genug haben.  Es handelt sich um ein Portrait Schleiermachers, das er seiner Braut zu Weihnachten geschenkt hatte, vgl. Brief und vgl. Brief . [Schließen] Jette schreibt mir sie hätte etwas besonderes vor mit der Zeichnung.  Vgl. Brief  [Schließen]Ich wünsche daß es ihr gelingen mag damit ich | 72 mich wieder aussöhne mit der ganzen Sache denn es ist mir schon ganz wunderlich und thöricht vorgekommen daß ich dir die Zeichnung geschikt habe für diese wenigen Monate. Was willst du doch hernach damit machen wenn du das Original selbst zu deiner Disposition hast und Dich müde daran sehn mußt. Die Zeichnung schadet mir, denn es wird doch bald ein vergangenes Gesicht sein was sie darstellt und nicht das gegenwärtige, zumal es ohnedies etwas zu jung gemacht ist; und ich schade auch wieder der Zeichnung denn sie zeigt dir immer nur eine und dieselbe störrische Mine unterdeß das wahre Gesicht dich doch noch durch seine Beweglichkeit durch die Canaillerien die darüber hinlaufen durch den Wechsel zwischen Dummheit und Verstand, und dann wieder durch alles gute und liebe was deine Nähe und deine Liebe hineinlegen und herauslokken wird – ja nun hatte ich sagen wollen amüsirt oder unterhält, und das paßt nun ja gar nicht mehr denn der Ernst ist mir wieder in den Scherz hineingelaufen. Aber kurz süße Jette die Zeichnung wird dir ganz übrig sein du wirst sie das ganze Jahr nicht ansehn und ich werde auch nicht wünschen daß Du sie ansiehst. Nun wenn Sie Dir nur jezt einige Freude macht. Daß dir Deine Weihnachtserscheinung bei uns mißlungen ist thut mir recht leid. Laß Dir das nur keine zu fürchterliche Vorstellung geben von dem Zwange der hier herrscht; es wird so arg in Zukunft gar nicht sein und du wirst alles sicher bekommen können, womit dir unsre dortigen Freunde einmal Freude machen wollen; ich glaube sogar es wäre diesmal schon gegangen.

Donnerstag Nacht. Liebste theuerste Jette wie lange bin ich nun schon nicht bei Dir gewesen. Leider kommt es größtentheils daher daß wenn ich sehr unwohl bin leicht etwas maulfaul werde und also auch schreibfaul. Ich habe mich steigend übel befunden alle diese Tage; der Arzt kann das rechte Mittel noch nicht finden und so wurzelt sich indeß das Uebel ein. Dann bin ich auch sehr viel abgehalten worden und habe dann die versäumte Arbeit nachholen müssen zum Theil in Zeiten wo ich gerne mit dir geplaudert hätte. Vgl. Brief an Henriette von Willich, Schleiermacher las im WS 1808/09 über die Dogmatik und über die Theorie des Staates. [Schließen] Daß ich mit meinem Collegien Ferien gemacht schon vor dem Fest habe ich dir oder Jette geschrieben.   Aus den Einträgen im Tageskalender 1809 geht hervor, dass Schleiermacher Anfang 1809 am „Philebos“ arbeitet. [Schließen]Nun habe ich während der Zeit den Anfang gemacht zum Platon zurük zu kehren und das einzige große Gespräch zu übersezen was mir für diesen Band noch übrig ist. Da möchte ich gern ein tüchtiges Stük hineingearbeitet haben und über das schwerste hinweg sein ehe die Vorlesungen wieder angehn. Das hat mich auch bis jezt noch gehalten und jezt schreibe ich Dir in einem tollen Zustande der dir auch ganz neu sein wird wenn Du ihn hier erlebst. Es ist beinah zwei Uhr, die Straße ist belebter als gewöhnlich am Tage die Nachtwächter stoßen ins Horn was die Lungen nur halten wollen die Trommeln wirbeln und aus dem Fenster kann ich den Widerschein einer großen Flamme sehn. Ich war schon einmal dort, es ist eine halbe Viertelstunde etwa von uns entfernt. Es sah so schön aus daß ich Nanny aus dem Bette geholt und sie auch so nahe als möglich hingeführt habe. Doch hat sie es nicht mehr so schön gesehn als ich weil die Sprizen schon geschäftig waren und in diesem Augenblikk kann ich schon keinen Widerstand(?)  über den ursprünglichen Text geschriebenWiderschein mehr sehn; aber doch wird es schwerlich vor Morgen früh ganz gelöscht sein. Mich ergözt | 72v eine Feuersbrunst immer sehr. Die Anstalten sind sehr gut also wird der Schaden selten bedeutend, und da nun ganz arme Leute abgerechnet die auch wieder nichts zu verlieren haben gewissermaßen von Jedem abhängt wieviel er verlieren will so habe ich auch weiter kein Mitleiden sondern überlasse mich ganz rein dem herrlichen Eindruk von der Wuth des Elementes und dem glüklichen Kampf der menschlichen Kunst und Thätigkeit. Ich möchte wol es brennte einmal so in meiner Nähe daß ich selbst auf Retten müßte bedacht sein; ich versuchte gern wieviel Geistesgegenwart ich wol haben würde in solchen Fällen, denn ich kenne mich darin noch gar nicht, und nun mir das schöne Leben mit Dir bevorsteht hätte ich gern eine recht sichere Kenntniß davon wieviel ich wol tauge für das Leben nach allen Seiten hin. Im Ganzen traue ich mir ziemlich viel zu; aber so lange man noch unversucht ist weiß man nie wieweit man Recht hat mit diesem Vertrauen. Darum freue ich mich recht daß ich gewissermaßen vorher noch in neue Schranken gerufen bin; wenn sie nur auch wirklich eröfnet würden und ich zeigen könnte was ich vermag. Komme ich noch irgend, wenn auch nur vorübergehend in eine Thätigkeit für den Staat hinein, dann weiß ich mir wirklich nichts mehr zu wünschen. Wissenschaft und Kirche, Staat und Hauswesen – weiter giebt es nichts für den Menschen auf der Welt, und ich gehörte unter die wenigen Glüklichen die alles genossen hätten. Freilich ist es nur diese neueste Zeit wo die Menschen alles trennen und scheiden daß eine solche Vereinigung selten ist; sonst war jeder tüchtige Mensch wakker in allem, und so muß es auch werden und unsere ganze Bemühung geht darauf daß es so werde. Die Menschen die sich etwas emporheben aus der gemeinen Masse machen alle so viel aus der Unsterblichkeit des Namens in der Geschichte. Ich weiß nicht; ich kann danach so gar nicht trachten. Die Art wie sie den Königen bloß als solchen auf ein Paar Jahrhunderte wenigstens sicher ist hat doch nichts beneidenswerthes. Die Thaten der Menschen im Staat sind doch immer gemeinschaftlich, und mit Unrecht wird irgend etwas großes einem Einzelnen auf die Rechnung geschrieben. In der Wissenschaft ist nun gar nicht daran zu denken, und das künftige Geschlecht müßte aus elenden Kerls bestehn wenn sie nicht in fünfzig Jahren alles weit besser wissen sollten als auch der beste jezt. Nur der Künstler kann auf diese Art unsterblich sein und ein solcher bin ich nun einmal nicht und außerdem ist noch eine irdische Unsterblichkeit übrig, die des Vaters in seinen Kindern. Darum ist die Krone die Du mir aufsezen sollst süße Jette die schönste, und ich will mirs auch nicht nehmen lassen zu sagen daß ich dein Geschäft  über den ursprünglichen Text geschriebenGeschöpf bin. Aber in was für ein Geplauder bin ich gerathen! ich wollte dir nur mit ein Paar Worten süße Ruhe wünschen, und dir sagen wie mir beim Feuer das Bild vorschwebte wenn ich Dich einmal oder die Kinder aus den Flammen führen könnte. Nun muß ich noch ein klein wenig zu meinem Plato zurük denn meine Aufgabe ist noch nicht fertig. Also schlafe nur weiter süßes Herz. Ich sehe dich in Gedanken eine Bewegung machen als wolltest du etwas fassen mit der Hand und ich lege Dir ganz leise einen Kuß hinein. Aber das sage ich dir kleiner Schelm daß ich Morgen früh einen Brief von dir haben muß.

Freitag Abend.  Vgl. Brief . [Schließen] Er ist auch richtig gekommen, gleich beim Frühstük; aber ich habe heute einen sehr verwirrten Tag gehabt. Ich mußte den Vormittag vielerlei | 73 herumlaufen, und vom Mittag bis Acht Uhr habe ich bei Spalding zugebracht und bin ziemlich leidend nach Hause gekommen, habe Nanny nur mit Mühe einen Gesang aus der Odyssee vorgelesen und dann noch etwas gearbeitet und nun muß ich schlafen gehn damit ich Dir nicht noch kränker werde. Süße Jette ängstige Dich nur nicht, es kann doch wirklich eigentlich nichts zu sagen haben und muß wieder übergehn. Verlasse Dich auch drauf daß ich Dir das schlimmste sage, und laß Dir nicht entgehn daß ich immer dabei ausgehe und arbeite. Ich kann auch ordentlich wünschen daß ich noch etwas Schmerzen übrig behalte für Dich, aus reiner Eitelkeit; denn ich bilde mir ein daß ich ziemlich liebenswürdig damit bin. Gott einziges Kind ich habe Dir ja auch noch andere Sorge zu benehmen! Das thue ich alles Morgen. Jezt laß dir nur danken für Deinen süßen innigen Brief. Wie sehe ich wieder ganz darin das wahre einzige Weib meiner Seele! den Muth und die Festigkeit und das liebliche süße Wesen dabei. Gott wie sehne ich mich Dich nur erst zu haben. Aber nun gute Nacht! alle guten Engel mögen Dich mir bewahren. Morgen denke ich noch recht viel mit Dir zu reden.

Sonnab. Den lezten Tag im Jahre muß ich so anfangen wie ich die schönste Hälfte des künftigen anzufangen denke daß ich ein Paar Worte wenigstens mit Dir mein Leben plaudere.   Vgl. Brief . [Schließen]Du hast Dir nun Sorge gemacht und meinst gar sie werde Dir die Weihnachtsfreude verkümmern. Das muß nicht sein; aber ich hoffe auch es wird nicht geschehn sein. Wenn Du erst mitten drin gewesen bist in den süßen Kleinigkeiten der Liebe und in der Freude der Kinder wird Dir das Sorgen wol vergangen sein. Ich möchte so gern jede bedenkliche Mine aus dem lieben Gesicht verscheuchen und Dich so heiter sehn wie ich selbst bin. Nein Liebe so kann mich eine unentschiedene Besorgniß nicht drükken daß ich nicht heiter erwachte. Niemals kann ich dahin kommen am Vaterlande zu verzweifeln; ich glaube zu fest daran, ich weiß zu bestimmt daß es ein auserwähltes Werkzeug und Volk Gottes ist. Es ist möglich daß alle unsere Bemühungen vergeblich sind, und daß vor der Hand harte und drükkende Zeiten eintreten aber das Vaterland wird gewiß herrlich daraus hervorgehn in kurzem. Allein auch jenes Mißlingen ist gar nicht mehr so zu fürchten wie damals. Es waren Aeußerungen unseres guten Königes auf welche sich die schlechten Aussichten gründeten; mir blieb immer die Hofnung daß es nur eine vorübergehende Stimmung von Verlegenheit und Unmuth wäre, so daß ich von Allen der heiterste blieb, und nun fängt meine Vermuthung an sich zu bestätigen. Aber wenn das auch nicht wäre, ich denke doch Du sollst mich nicht traurig und gedrükt sehn; ärgerlich wol und ereifert über Thorheiten die ins große gehn, und sinnend und sorgend wie Fehler und Thorheiten wieder zu verbessern sind, und was hernach zu thun wenn man das rechte unterlassen hat.  Vgl. Brief . [Schließen]So war es auch als ich Dir so schrieb. Uebrigens bin ich meiner Bahn freilich noch gar nicht sicher, da noch nicht einmal innerlich Alles in Ordnung ist wodurch sie muß bestimmt werden. Aber was auch begegne so hoffe ich nicht daß irgend etwas uns soll länger getrennt erhalten. Nein liebste Jette, dazu habe ich auch nicht die mindeste Lust, und ich denke irgendwie wird es sich machen lassen. Das Beste und wichtigste müßte eigentlich schon vor der Zeit die wir uns bestimmt haben geschehen sein, alle Gefahr überstanden sein und ich Dich ganz ruhig in die stille Wohnung einführen können. So ist meine Rechnung immer gewesen; ob der Himmel sie billigen wird müssen wir sehn. Läßt man thörichter Weise den rechten Augenblik vorbei gehn, und kommt dann die Zeit der Gefahr später dann soll es mir hohe Freude sein sie unter Deinen Augen zu bestehen, und mich auf Deinen Muth auf Deine Besonnenheit auf Deine Festigkeit und Vorsicht zu verlassen. Du glaubst nicht wie mir was Du sagst das Herz gehoben hat. Mit rechter Lust mit ordentlicher Begier habe ich mir die Bilder einer verhängnißvollen Zeit ausgemalt | 73v Dich immer an meiner Seite oder mich zu Hause sehnsuchtsvoll empfangend wenn ich zurükkehrte von irgend einem Geschäft das alle Kräfte aufgeregt und in Anspruch genommen hatte. Liebes Herz es ist eine herrliche Gabe Gottes in einer Zeit zu leben wie diese: alles Schöne wird tiefer gefühlt und man kann es größer und herrlicher darstellen. Ja auch wenn vom reinen Genuß der Liebe die Rede ist will ich Dich lieber in die Verhältnisse hineinführen als in irgend ein verborgenes idyllisches Leben. Denn was kann die Liebe mehr verherrlichen als wenn man so alles was es großes giebt in der Welt mit hineinzieht in ihr Gebiet. Darum laß mich dich fest umschlingen und an meine Brust drükken und mich recht muthig und freudig in Dein tiefes liebes Auge hinein sehn und mich fest saugen an Deine Lippen und so laß uns frisch und selig allem entgegen gehn was da kommen kann.

 Schleiermacher nummeriert diesen neuen Schreibakt nachträglich als Brief Nr. 1 für das Jahr 1809, Vgl. Brief . [Schließen] Sonnt. d 1t. Jan. Und nun sei mir gegrüßt zum neuen Jahre geliebtes Herz. Es ist das was uns ganz verbinden wird, das schönste meines Lebens und mir ist als wenn nun auf einmal alles weit näher getreten wäre. Wir haben unsern Sylvester Abend weil wir fürchteten die Reimer möchte grade in Wochen kommen  über der Zeile ⎡ was aber nicht geschehen ist bei Spaldings zugebracht. Es war nicht so schön als es hätte sein können weil manche Leute da sein mußten die nicht recht zu uns gehörten, unter anderm mußte ich Karten spielen aber es war doch recht hübsch. Um dahin zukommen mußte ich über den Christmarkt der eben geschlossen wurde. Ich gab ihm noch einen zärtlichen Abschiedsblik und dachte mit großer Lust dran daß er mich übers Jahr noch weit mehr angehn würde als dieses Jahr (Denn als wir unsere Sendung abschikten, war er noch nicht aufgeschlagen, sonst wäre sie wol besser ausgefallen) Spaldings und Karoline Wucherer die sich deines Grußes sehr erfreut hat haben mit mir angestoßen auf Deine Gesundheit und ich bin viel viel bei euch  über den ursprünglichen Text geschriebenEuch lieben gewesen. Möchte das erste Drittel des Jahres nur unter recht rascher vielseitiger Thätigkeit wie ich sie wünsche vergehn. Die Hofnung ist jezt wieder lebendiger; der Himmel bringe sie endlich zur Erfüllung.

 Schleiermacher schrieb in diesen Briefen sozusagen offiziell an die Vormünder der Kinder Henriette von Willichs, vgl. Brief und Brief .  [Schließen] Ob ich es nun nach Deinem Wunsch gemacht haben werde mit den Briefen an Kathen und Schlichtkrull das muß ich erst abwarten. Du traust mir so viel Gewandtheit zu in allen solchen Verhältnissen aber das gilt wol mehr davon daß ich die Leute im persönlichen Umgang recht zu nehmen weiß; aber Schreiben in irgend einer Art von Geschäftssachen ist gar nicht meine starke Seite. Als ich an Kathen schrieb besonders wollte mich die Vorstellung nicht verlassen daß er an Briefen entsezlich mäkelt und es an diesem besonders thun würde.

 Ehrenfried von Willich, vgl. Brief und Brief . [Schließen]Ich habe wirklich geglaubt Dir über Ehrenfrieds Kleider und über seine Bücher geschrieben zu haben. Einen schwarzen Rok von ihm zu tragen würde mich sehr freuen; aber den Ueberrok laß Du Dir nur machen. Bücher wünschte ich verkauftest du vor der Hand gar nicht wenn du doch nichts dafür bekommst; ein Verzeichniß würde Dir Mühe machen und könnte mir doch in vielen Fällen nicht einmal helfen.

Und nun Lebewol mein trautestes Herzensweib, und sorge ja nicht um mich. Freilich wäre es schön wenn ich meine Schmerzen an Dich angelehnt abwarten könnte und mich von dir pflegen lassen. Aber das thue ich auch so. Küsse mir die Kinder recht väterlich. Ach ich sehne mich ganz einzig nach den lieben Würmern.

 Charlotte Schleiermacher, vgl. Brief . [Schließen]  am linken RandVon Lotte habe ich einen Brief; sie schreibt sie hätte schon wieder einen Brief an Dich angefangen.  am linken RandSchreibe ihr doch auch.

Zitierhinweis

3008: An Henriette von Willich. Berlin, Sonntag, 25. 12. 1808 bis Sonntag, 1. 1. 1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006837 (Stand: 26.7.2022)

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