An Schleier. / An Schleiermacher [Autorfußnote Bl. 5v]

Wie es die ersten Worte sind, die ich Ihnen mein geliebter, theurer Freund, sage, so sind sie doch schon mit dem innigsten verbunden was mein Herz fühlen und empfinden kann. Ich wollte Ihnen schon so lange schreiben, ich wollte Ihnen von dem, seit dem Sie uns verließen, wichtigsten Ereigniße meines Lebens reden, von einer überstandenen Krankheit meiner kleinen  Emma Israel [Schließen] Emma – aber es verschwindet mir nun so alles, und ich kann nur immer mit Ihnen mich freuen, nur eines mit Ihnen auswechseln!  Vgl. Brief 2844, 36 – 39 von Henriette von Willich. [Schließen]O mein geliebter Freund – wie Jettchen es mir schrieb da war es mir als das Ueberraschendste, und doch als lange bekannt, es war mir als es hätte nicht anders sein können, und doch so unerwartet wunderbar! Ich habe mich unendlich gefreut, und es ist mir alles so helle, so leuchtend daß ich gar keinen Schatten sehe. Lieber Schleier, ich habe Sie so herzlich lieb, aber warum sollte ich's nicht sagen – Jettchen noch viel lieber – sie ist mir so nah, obwohl ich weit von ihr bin, indem was ich bin, aber uns verbindet auch  korr. v. Hg. aus: daßdas , worin nur ein Maaß und Ziel gilt. Mutterliebe. Zu wem möchte ich es lieber aussprechen als Ihnen wie sie so herrlich sich in ihrem Schmerze berührt – | 4v – Da fühlte ich daß ich sie unendlich liebte und verehrte, und oft wenn ich in stillen Stunden ihrer dachte, war mir zu Muthe als ob ich  korr. v. Hg. aus: keinenweinen mußte. Es ist eine tiefe Wehmuth in mir lieber Schleier, und alle Menschen die ich sehr liebe   lies: ˪vereinen˥  [Schließen] vereiden(?) sich mit in dieser.

Aber ich habe es auch geahndet daß noch kein verlohrnes Glück aus disem Leben ansprechen durfte – und nun ist es so hervorgegangen daß es einzig mir so werden konte – o wie freue ich mich darum, und wie schwebt unser verewigter Freund mir dabei im Gedächtnis – so wird nun vollendet was er anfing –

Lieber Schleier, schreiben Sie mir bald wieder, wie Ihre Entwürfe und Aussichten der Zukunft – wo Jettchen bleibt da ist meine Seele auch und nun fühle ich auch mich das mehr von dem was ich sonst wohl spürte wenn ich gegen Sie nicht so ganz deutlich war – den Mangel meiner selbst. Nun deucht mir mus ich Ihnen auch nahe sein, wie ich auch sei – und ich bin gar nicht mehr verzagt dabei. Ich bin es auch nicht oft gewesen, aber doch wohl –

Ich selbst mein lieber Freund bin wohl und gesund. Auch meine Kinder sind es – meine süße | 5 kleine Emma hat 3 Wochen ein schweres Lager gehabt – ich habe sie, und nur ich allein, nicht aus meinen Armen gehabt, und wie es vorüber war – o warlich, ich habe mich gefreut als wäre sie ein Ankömmling gewesen. Nun blüht sie wieder. Israel ist seit vier Wochen in Hannover – ich allein, und leider auch damit ist das Zuhausebleiben bestimmt.

Sie sind in Königsberg gewesen. Hat vieleicht nicht dort sich etwas für Ihre Zukunft bestimmt? Doch was frage ich darnach soviel, die eigentliche ist Ihnen ja aufgegangen, und alles Andre findet sich. Ich habe Jettchen lange nicht gesehen – Luise und die Herz sind die beiden lezten die ich einen Augenblick sprach – ich habe eine gewaltige Sehnsucht nach Poseritz , und bin schon einmal im Begriff gewesen hinzureisen, aber es zerstörte sich. Von der  Charlotte Cummerow [Schließen] Cummron erhalten Sie selbst Nachricht, ich kann auch wenig von ihr sagen, denn ich bin seit Tagen nicht mit ihrem innern Leben bekannt.

Es ist in diesem Briefe etwas flüchtiges lieber Schleier, es ist nicht die Zeit welche es macht – es ist daß ich Ihnen so viel zu sagen habe, und nun eines das andre treibt, und darüber bleibt viel auf(?). So wie ich von Ihnen erst etwas gehört habe, ordnet sich alles beßer in mir, und ich werde Ihnen oft mehr sein. Leben Sie herzlich wohl mein geliebter Freund – bitten Sie Ihre   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Schwester mir eingedenk zu sein – nun wird der Frühling Sie gewis zu uns führen.

Die Ihrige Friederike.

Zitierhinweis

2869: Von Friederike Israel. Stralsund, um den 12. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006698 (Stand: 26.7.2022)

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