An Lotte Kathen. [Autorfußnote Bl. 33v]

Kbg d. 15t. Septbr. 1808

Liebste beste Freundin es ist eigentlich noch gar nicht so lange her aber es dünkt mich doch eine kleine Ewigkeit daß ich von Ihnen bin und ich fühle es schmerzlich daß wir so lange fast gar nicht zu einander geredet haben. Sie wissen freilich wol wie es mir geht, und ich weiß es im Ganzen auch von Ihnen; aber  lies: wie [Schließen]wir mir so innig wohl dabei war, oft ist es uns nicht geworden ein Stündchen mit Ihnen allein zu verplaudern auf dem Sofa, so ist es mir doch ein rechtes Bedürfniß dies von Zeit zu Zeit wieder zu haben. Können Sie irgend dazu kommen so schütten Sie mir doch wieder einmal Ihr Herz ein bißchen aus. Noch haben Sie vielleicht nicht ganz die Unruhen der Erndte überstanden; ich weiß noch nicht wie sie ausgefallen ist aber ich wünschte so sehr   Charlotte von Kathen erwartete ihr neuntes und letztes Kind . [Schließen]daß Kathens Freude und Ihre eigene an dem neuen Segen Ihnen die Last und Noth recht leicht machte und daß Sie mit so wenig häuslichem Verdruß als möglich davon kämen. Recht oft denke ich nicht ohne Besorgniß daran wie Sie mir gesagt haben daß Ihr hofnungsvoller Zustand selten recht freudenreich für Sie zu sein pflegte. Ich beneide unsere   Henriette Herz, die seit Ostern 1808 bei Charlotte von Kathen als Erzieherin angestellt war. [Schließen] Freundin und Luise die doch wol noch bei Ihnen ist recht darum daß sie das schöne Geschäft haben Ihnen tragen zu helfen und Sie aufzuheitern, und gar zu gern hätte ich auch meinen Theil daran. Und wenn ich dann denke wie hoffentlich bald auch eine Zeit kommen wird wo ich diese Freude und Sorge im eigenen Hause haben werde an der geliebten  Henriette von Willich [Schließen] Jette liebste Schwester ich kann Ihnen nicht sagen wie ich schwimme in einem Meer von Hofnung und Freude und wie es mir immer nur dieses ist wenn sich auch noch wunderliche Stürme erheben sollten ehe ich in den Hafen einlaufe. In jeder Stunde habe ich | 33v das schöne Glükk vor Augen und im Herzen, und ich möchte gern meine innere Freude und Seligkeit auf Alle ausgießen die darum wissen oder wissen sollten. Beste Lotte halten Sie Sich nur recht bei frischem Muth, und wenn Sie etwas trübe sind baden Sie Sich auch in dem Meer unserer Hofnung und halten Sie Sich unser Bild vor, der geliebten Schwester und meines um Sich daran zu erfrischen.

Für meine Ungeduld, denn von der weiß ich mich gar nicht frei ist die neue Veränderung die mir durch die Reise hieher geworden ist auch etwas ganz gutes, wiewol es mir auf der andern Seite leid thut daß die erhöhte Kraft die ich fühle nicht gleich zu einer regelmäßigen tüchtigen Thätigkeit kann gebraucht werden. Fast hoffe ich daß ich auch für Sie nicht umsonst her gekommen bin.  Vgl. Brief 2825, 163 – 166. [Schließen] Ein junger Mann Namens Weber der izt die Universität verlassen will, und während seiner akademischen Jahre ein Hausgenosse meines Freundes Wedeke gewesen ist hat nicht üble Lust zu Ihnen zu ziehn, und sucht nun erst die Einwilligung seiner Eltern nach die er eben zu besuchen gegangen ist. Seine Unverdorbenheit seine brave Gesinnung sein häuslicher Sinn werden Ihnen gefallen müssen wenn er Ihnen auch etwas ungewandt und im Umgange fast zu wenig gesprächig erscheint. Sie werden Sich gewiß auch sein Vertrauen erwerben die nöthigen Kenntnisse besizt er, und er ist dabei nicht so wissenschaftlich gesinnt daß ihn die literarische Einsamkeit zu sehr abschrekken sollte. Leider werde ich hier die Entscheidung nicht mehr erwarten können aber ich werde sie auf meiner Rükreise erfahren und Ihnen dann gleich zu wissen thun.

Wie ich der schönen Zeit auf Rügen gedenke und Gott danke für das was er mich hat finden lassen, davon sage ich Ihnen nichts. Täglich lebe ich mich mehr ein in das schöne Glükk und alles was damit zusammenhängt wird mir immer theurer, und alles ist so aus einem Stükk so untheilbar in meinem Herzen. Wie mich nach Jettchen bewegt so bewegt mich auch nach den süßen  Kinder der Henriette von Willich aus erster Ehe [Schließen] Kindern und meinem Vaterleben mit ihnen. Nicht ein Schimmer von banger Ahnung oder Ungewißheit trübt meine Freude sondern ich sehe mit der größten Sicherheit dem Frühjahr entgegen als dem unfehlbaren Anfang meines eigentlichen Lebens. Gott befohlen liebste Lotte lassen Sie mich bald recht erfreuliche Worte von Sich hören

Zitierhinweis

2830: An Charlotte von Kathen. Königsberg, Donnerstag, 15. 9. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006659 (Stand: 26.7.2022)

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