Lieber Schleiermacher, da ich mit dem Abgange der vorigen Post nicht fertig ward, und es bis zur folgenden noch Zeit hat; so nutze ich diese,  Vgl. Brief 3412 . [Schließen]Ihnen zu danken für Ihren gütigen angenehmen Brief, und Ihnen, wo möglich, auch wieder was angenehmes zu schreiben.  Friedrich Schleiermacher: „Ueber das rechte Verhältniß des Christen zu seiner Obrigkeit“ (1809); KGA III/4, S. 3-15 [Schließen] Auch für Ihre vorjährige gedrukte Predigt habe ich Ihnen zu danken, mit der mir unser Reimer ein so liebes Geschenk gemacht hat. Sie hat mir ganz vorzüglich gefallen;  Sachanmerkung:

nur ... zu machen.] 
In Schleiermachers Predigt heißt es: „Denn freilich, wo ein Volk sich beuget unter einer nur durch die Macht der Waffen oder durch die Gewalt gebietender Umstände oder durch inneren Frevel aufgedrungende Obrigkeit, vielleicht gar von fremden Stamm und Geschlecht, die also auch nicht einerlei Sinn und Maaß und Einsicht haben kann mit ihrem Volke, da mag wohl mancher denken, daß freilich auch diese Obrigkeit von Gott geordnet ist wie alles, aber ob sie nicht vielleicht nur so geordnet sei, wie er auch schwere Uebel und Strafen verhängt über die Völker, unter denen sie sich zwar beugen und zur Erkenntniß ihrer Sünden gelangen, deren Dauer sie aber auch suchen sollen durch Anstrengung aller ihrer Kräfte zu verkürzen?“, vgl. KGA III/4, S. 5.

Regenten] Jerôme Bonaparte, König von Westphalen
 [Schließen]
nur scheint mir in der Texterklärung die Grenze der Freimüthigkeit überschritten, wo auf das Unglück der Westphalen z.B. die einen Neu- und Fremdling zum Regenten haben mit Finger gezeigt und ihnen die Erlaubniß oder wol gar der Rath gegeben wird, sich eines Strafübels loos zu machen.
Ich erinnere mich  Vgl. Einleitung in den Dialog „Laches“, Platons Werke 1,1, S. 322 f. (KGA IV/3, S. 877). [Schließen]aus einer Einleitung zu einem Dialoge des Platon Ihrer hellen und so viel ich weiß Ihnen eigenthümlichen Ansicht der Tapferkeit, als der zur klaren Erkenntniß gewordenen Unterscheidung des zu fürchtenden und nicht zu fürchtenden. Diese Ansicht ist so platonisch, und insbesondere noch so ächt christlich; es scheint mir aber Ihre Freimüthigkeit, die doch von der Tapferkeit eine Art ist, hier nicht ganz Probe zu halten. Ich wollte auch versuchen, Luthers Uebersetzung gegen Sie zu rechtfertigen, und sehen, ob sie nicht Ihren als den offenbar einzig richtigen Sinn zuließe; ich dachte  Röm 13,5  [Schließen] seyd aus Noth unterthan könne gar wol heißen seyd unterthan aus der Nöthigung des Pflichtgefühls, und es sey ein ganz willkührlicher Sprachgebrauch, daß man unter Noth grade eine – der Vernunft – fremde, äußere, also einen Zwang verstehe; man könne ja eben so beliebig auch die innere, die Vernunftnothwendigkeit darunter verstehen, wie man doch auch wirklich thut; denn in dem  Lk 10,42 [Schließen] „Eins ist Noth“ ist das „Eine“ doch offenbar zur letzten Art der Nothwendigkeit zu rechnen. Aber so viel Mühe ich mir auch gegeben, um Luthers  | 51v Uebersetzung zu retten, die zwar nicht in der protestantischen Kirche, aber doch bei den protestantischen Laien canonisches Ansehen hat: so gebe ich doch zu, daß da dieser offenbar einzig richtige Sinn als Idee durch Ihre ganze Predigt lief, Sie aus Noth die Luthersche Uebersetzung ändern mußten, wozu die Prediger auch auf der Kanzel von jeher das Recht gehabt und gebraucht haben. Sie haben wol Recht, mit Luthern die Ehe eine Kunst zu nennen , ich dächte aber auch ohne alles Bedenken die Liebe; sie ist eine edle Pflanze, die freilich nur aus innerer Kraft ihrer edelen Natur, aber doch auch nur unter gewißen äußern Bedingungen gedeihet: Die innere Kraft muß sie freilich in sich selbst haben; und jede Kunst wäre hier ein Zwang, der ihr Erkranken und Ersterben nur beschleunigen nicht aufhalten, noch weniger aufheben könnte, aber was zur Beförderung des Gedeihens von äußern Bedingungen abhängt, das dünkt mich sey eine Pflege und Wartung, die sich gar füglich eine Kunst nennen laße. Ich spreche aus Ideen, die ich auf Ihrem Felde gesammelt habe; Ihnen ist doch das Selige die Leben gewordene, und das Heilige die erst Leben werdende, oft in Geburtsschmerzen noch liegende, und an der Durchdringung und Assimilirung des im Gemüth noch Heterogenen, und Rohen noch arbeitende Idee. Dieß Assimilationsgeschäft kann ihr erleichtert werden, indem die Heterogeneität des rohen Stoffes gemildert, oder um biblisch zu sprechen, Gal 5,24 [Schließen] dem Geiste kann der Sieg erleichtert werden, wenn das Fleisch gekreuzigt wird; und was von dieser Seite geschieht, das wäre doch wol dem Gebiete der Erziehung, mithin der Kunst anzuweisen. | 52

Ja, lieber Schleiermacher sehen Sie? in solchem Credit stehe ich hier, daß Frauen gar kein Bedenken trugen, und auch nicht das entfernteste Aergerniß geben mich in meiner Krankheit oft zu besuchen, und auch die Ältern, als ihren Sohn, die jüngern als ihren Bruder zu behandeln. Uebrigens geht es auch mir, wie Ihnen, seit meiner Verheuratung besuche ich selten meine Freunde. Unser Reimer bedauert es, daß er seltener Ihren Umgang genießt.

Ich gratulire Ihnen auch zu Ihren neuen Geschäften und freue mich in dem neulich erhaltenen  Friedrich Schleiermacher: „Platon-Übersetzung“, Bd. 2,3 (1809). [Schließen] zuletzt erschienenen Bande des Platon wieder einige Blicke in Ihre Ideenwelt zu thun. Wie ists?  Heinrich Ludwig Planck: „Bemerkungen über den ersten Paulinischen Brief an den Timotheus in Beziehung auf das kritische Sendschreiben von Hrn. Prof. Fr. Schleiermacher“ (1808), SB 1485. [Schließen]Schweigen Sie zu Planks Angriffen auf Ihr Kritisches Sendschreiben?

 Vgl. Friedrich Samuel Gottlieb Sack: „Kato oder über das Alter: Aus dem Lateinischen des M. T. Cicero übersetzt und mit Anmerkungen versehen von F. S. G. Sack“ (1808); bei den zwei anderen Publikationen handelt es sich wahrscheinlich um „Erweckung zur Besonnenheit bei dem Denken an die Vergangenheit, an die Gegenwart und an die Zukunft“ (1809) und „Aufruf zu einer würdigen Feier des fünf und zwanzigsten Decembers im Jahre 1809“ (1809). [Schließen] Herr Sack war Neujahr doch auch so gefällig, mir seine 2 neuesten Pieçen nebst seiner Uebersetzung des Cicero De senectute zu übersenden; alle 3 Arbeiten haben mir besonders gefallen, wie auch sein freundlicher Brief. Wie ists, kommen Sie auch noch wol zu Zeiten bei Sack? Sie waren doch sonst dort ein immer so angenehmer Besuch.

 Vorletzter Kommandeur der Kadettenanstalt war 1810 Ernst Friedrich Otto von Bonin, letzter Marschall war 1810 Major Marschall von Bieberstein, der hier wahrscheinlich gemeint ist, da Bonin bereits vor Ort war und nicht aus Berlin eintraf.  [Schließen] Der Obristlieutenant von Marschall, der neue und von Berlin diese Tage angekommene Director des hiesigen Cadetten Instituts hätte gestern ein großes Unglück wenigstens haben können; denn noch weiß man nicht, wie es ablaufen wird. Vor dem Mühlenthor liegt doch unter andern auch eine Schneide- oder Säge-mühle, da geht er eine Planke hinauf, vermuthlich um seinen Sohn und Zögling mit der Mühle bekannt zu machen. Die Planke kipt um, und Marschall thut einen Fall, so daß man ihn bewußtlos fast für todt nach Hause bringt.  | 52v Gestern Abend wußte der Arzt noch nichts bestimmtes über die Wunde am Kopf zu sagen, diesen Morgen aber schickte ich hin und ließ nachfragen und hörte, daß er doch eine ruhige Nacht gehabt. Ich hatte ihn vorgestern Abend auf der Eine Art Offizierskasino, in der sich auch Schleiermacher in seiner Stolper Zeit viel aufhielt und dort Geld verspielte, vgl. Brief 1506, 57-61, KGA V/6. [Schließen] Ressourçe (vorm Schmiedethor) wo ich alle Abend bin, gesehen, und da er uns Karten geschickt, auch durch die Majorin von Bonin die Nachmittags bei uns war, hatte grüßen laßen, so trat ich zu ihm an, gab mich ihm kund, er war artig und freundlich, und bat, da wir so nahe Nachbarn wären, so sollte ich es doch nicht bei der Nähe des Orts bewenden laßen, er wünsche meinen nähern Umgang. Diese Freundlichkeit war es indeß doch nicht, was meine Theilnahme erregte, sondern ich bedaure den Mann selbst, der sehr thätig zu seyn scheint, und jetzt gleich wo er mit frischer Liebe Hand ans Werk legen möchte, leicht auf 6 Wochen zur Unthätigkeit verdammt ist. So eben erfahre ich, so gern ich mich auch mit Ihnen unterhalte, eine so angenehme Unterbrechung durch einen Brief von meinem vortreflichen Bruder in Westphalen , von dem ich in langer Zeit nichts gehört hatte, und der mir um seines so treflichen Verstandes, als tiefen Characters willen so lieb ist.

Ich habe Reimern einen Zimmermann in Tuchel, einen Reformirten characterisirt, und ihn um ein für einen solchen Mann paßendes Predigtbuch gebeten, weil mir gar sehr daran liegt, diesem würdigen Manne eine ihm zusagende gesunde Seelennahrung, um die er mich gebeten, ihm zu verschaffen, so bitte ich auch  korr. v. Hg. aus: sieSie , wenn Ihnen ein solches Buch bekannt seyn sollte, es Reimern vorzuschlagen. Meine  Marie Elisabeth Charlotte Thiele [Schließen] SchwiegerMutter und Frau empfehlen sich Ihnen und den Ihrigen nebst mir, Ihrem Freunde

Metger.

Stolpe den 30t Maerz 1810.

Zitierhinweis

3413: Von Friedrich Severin Metger. Stolp, Freitag, 30. 3. 1810 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007242 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.