Giebichenstein den 29sten April 1808.

Nach einer langen Pause sollen Sie liebster Schleiermacher, ein doppeltes Briefchen erhalten, von Rieke und von mir, um Ihnen zu melden, daß wir uns am 2ten Osterfeiertage verlobten. Wir beschlossen gleich Ihnen dies zu schreiben, weil wir beide wohl wissen, wie viel Theil Sie an uns nehmen. Leider können wir uns nur kurze Zeit des neuen Verhältnisses – eines neuen Lebens für mich – erfreuen. Giebichenstein wird nun bald verlassen, und auf eine lange Zeit muß ich mich von Rieke trennen. Ich denke in diesem Jahre eine ziemlich weite Gebirgsreise zu machen, deren endliches Ziel Paris ist. Dort bleibe ich den Winter; weiter hinaus kann ich selbst nicht über mich bestimmen.

Wie es mir in der letzten Zeit ergangen, werden Sie von meinem  Friedrich Raumer [Schließen] Bruder und vielleicht von andern gehört haben. Nachdem ich im vergangenen Jahre meine Reise geendet hatte,  Sachanmerkung:

blieb ... immer lebewohl.] 
Raumer studierte Geognosie und Mineralogie bei Abraham Gottlob Werner an der Bergakademie Freiberg.

Oryktognosie] Steinkunde (griech. orykta für Steine), Vorläufer der Geowissenschaften
 [Schließen]
blieb ich den Winter in Freiberg, und hörte zum Schlusse Herrn Werner privatim über Oryktognosie. Jetzt sage ich Freiberg auf immer lebewohl.

Von Ihnen haben mir viele vieles erzählt, zuletzt mein Bruder. Wären Sie doch mit ihm nach Dessau und noch weit lieber, nach Giebichenstein gekommen, um hier das Osterfest zu feiern – daß wir hernach allesammt zugleich den lieben Ort verlassen hätten.

Der Himmel weiß wann und wo ich Sie nun wiedersehn werde, bester Schleiermacher. Schreiben werde ich Ihnen auch für jetzt(?) nicht, ich weiß daß Sie mein Tagwerk anerkennen, ohne mein Tagebuch zu sehen; und wünschte Sie lieber, wenn auch erst nach einigen Jahren, wieder auf griechischen Boden zu begrüßen. Giebt die Natur nur den Schlüssel zu den Indischen Mysterien, dann will ich mich freudig aus der ernsten stummen Gebirgswelt zu den fröhlichen Blüthen der Menschheit wenden. Die nächsten Jahre sind eine Höllenfahrt, nach welcher ich einst ein doppelt freudiges Osterfest zu feiern hoffe, der Liebe und der Wissenschaft.

Ade, liebster Schleiermacher, behalten Sie uns beide lieb.

Ihr R. | 5

[Reichardt:] Lieber lieber Schleiermacher ich fange mit den Worten an womit Raumer geschlossen hat – behalten sie uns beide lieb und geben sie freundlich ihren Seegen zu unserer Verbindung die sie schon längst im stillen geseegnet hätten. Sagen sie uns ob sie zufrieden sind wie es nun gekommen ist, wenn sie selbst unter uns sein könten in diesen schönen Tagen, sie fehlen uns in jedem Augenblick. – Meine einzige Sorge ist nur wie ich das Glück verdienen soll was mir der Himmel giebt und es ganz erkennen daß auch das Traurige dieser Zeit fast unbemerckt an mir vorübergeth. Schon in acht Tagen verlassen wir nun unser liebes Giebichenstein und morgen fängt der neue Einwohner unseres Hauses an, sich hier einzurichten, und bei dem allen kann ich immer vergnügt sein. Leben sie wohl lieber Schleiermacher vergessen sie ihre Getreuen nicht auch wenn sie noch weiter entfernt sind.

Friederike Reichardt. | 5v

[Raumer:] Wollen Sie, liebster Schleiermacher, uns nicht noch ein Paar Worte auf die Reise schreiben? Der Brief trifft uns hier noch sehr wohl.

Zitierhinweis

2698: Von Karl Georg von Raumer und Friederike Reichardt. Giebichenstein, Freitag, 29. 4. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006527 (Stand: 26.7.2022)

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