Habdrf d 3 Nvbr 1808.
Vgl. Brief *2897. [Schließen]Gestern mein Bester – mein Einziger als ein Bote von hier nach Gnadenfrey gieng; hatte ich ein sehr richtiges Vorgefühl – daß ein Brief von dir mitkomen würde – und er erschien – dieser trefliche ausführliche Brief – für den mein ganzes lotten Herz dir innigst dankt. Ohngeachtet des Wirvars der in diesen Tagen bei uns aller Art ist waren wir eben einen Augenblik allein – als die gute Emilie von Seidlitz [Schließen] Emilie mit glänzenden Augen herein trat – hier liebe bonne, ein Brief von Ihrem Bruder aus Berlin – Gott wie warm und innig theilte die trefliche Helene von Seidlitz [Schließen] Seidliz meine Freude, als sie die Epistel von weitem erblikte – mit welcher du mich bis auf 2 Gegenstände ganz befriedigt hast – – keinen Ton von dem edlen Louis nicht den Ort wo er lebt – keine Antwort ob ich der Aulock Deine vorhabende Verbindung bekant machen darf – durch Mittheilung Deines vorigen Briefes –! Wie sehr überrascht binn ich durch den Brief Deiner treflichen lieben Jette – – schon ehe ich diese Zeilen anfieng habe ich mit ihr, mich unterhalten – nur habe und finde ich unter solchen Stimmungen der Seele keine Worte – Diese alte Klage kenst du schon! noch oft wirst du sie hören.
Abends nach 10 uhr
Einen rechten solo The habe ich mir jezt schmekken laßen – jedoch so einfach als möglich den jezigen ZeitUmständen angemeßen. Dabei habe ich nur deine Briefe aus Stolpe, von deiner ersten Reise nach Ruegen gelesen – und habe mich recht daran geweidet, wie du dich darüber ausdrükst – daß diese Reise eine große Begebenheit in deinem Leben sey – und mit welcher innigen Wärme Du mir Alle die lieben Leutchens schilderst – nächst der süßen Tochter die fromme Schwester die Kathen – schreibt dir diese nicht? | 24v
Wie ist das mit der Pistorius – die ich in jenen Briefen nicht aufgezeichnet finde – aber mündlich sagtest Du mir von Ihr ist sie nicht auch Willichs Schwester? die lezten Worte auf dem mir zugeschikten Zettel, laßen mich es vermuthen oder Jetchens Schwester? merkwürdig ist es mir, daß die erste intime Freundin unsrer seligen Mutter in Breslau auch diesen Nahmen führte – es war auch eine wahre Dulderin – unsre Seelige hat viele Nächte bei ihr gewacht ihr Begräbniß war das erste welchem ich beiwohnte –
Dieser Erguß ihrer
bittersüßen Freude – muß dir viel werth seyn ich schikke
Dir es mit vielem Dank zurük, komme aber zuglleich mit der Bitte, mir wo möglich
bald einmahl wieder was von Jetchen an dich
mitzutheilen – und wenn es dir nicht ganz unangenehm – von
dir an Sie.
Da ich einen mir sehr interessanten Brief von hier aus an Eleonore Grunow war die Frau eines Amtskollegen,
um deren Hand (und Scheidung) Schleiermacher zuvor erfolglos geworben
hatte. [Schließen]
Leonoren
von dir habe – wünsche ich nun noch weit mehr eine Abschrift einer
deiner HerzensErgießungen an Deine süße Tochter und Braut
zu haben – bitte lieber Bruder mache mir diese Freude – du
weißt wie mich so etwas gar sehr glüklich machen kann! und
ich dabei immer aufs neue verspühre daß ich noch nicht
stumpf geworden – im Gegentheil – für das wahre Gute
und schöne – gebildete und Trefliche
– jeder Art – noch mehr Sinn und
Empfänglichkeit habe als in frühern Zeiten! – lebst du noch in engem Verhältniß mit Schlegel
? Vgl. Brief. [Schließen]
ach ich habe dich
ja in meinem vorigen wegen dem Indischen
gefragt!
was wird der gute Konopak sagen – und
Jösting –
was ist aus diesen geworden?
am linken Rand.
Sachanmerkung:
Nany] Anne (Nanny) Schleiermacher
[Schließen]Hat er nicht vielleicht einen Eindruk auf
Nany
gemacht! ich
möchte diese wohl einmahl wiedersehen
– ihr Dialect ist gewiß jezt ganz anders
– so wie sie an Bildung ins Ganze mag gewonnen
haben – ihre Beschreibung über
| 25 das Meer, und den Ruegenschen gemachten
Waßerpartien war gar
lieblich und anschaulich – treibe sie doch an, daß sie mir
wieder einmahl schreibt – jezt wandert sie doch
nicht mehr hin und her – sondern sizt bei dir im warmen
Stübchen – laß
mich doch wißen wenn ihr Geburt
stag ist, im Februar weiß ich aber nicht, die
Zahl.
Dieser Brief geht deshalb schon am 8ten ab – wenn es etwa möglich wäre daß die Inlage zum 21ten in Ruegen einträfe – versteht sich in Begleitung einiger Zeilen von Dir – gern hätte ich ihn solo an Jetchen geschikt aber ich wolte dir doch nicht das Herzeleid anthun diesen ersten Brief nicht zu lesen – wiewohl ich immer glaube, daß ich mich einem Tadel ausseze – auch durch die Länge wenn ich an Jemand das erstemahl schreibe – aber ich kann mich durchaus nicht kurz faßen – über das unleserliche tröste ich mich bei Deiner kleinen Braut, da wird wohl die große Jette einhelfen – meldet nur dieser, daß ich ihr noch in diesem Jahre schreibe – da mir Niemand troz meines Bittens die adresse schikt – werde ich nur schreiben – Götemitz [Schließen] Gröteniz auf der Insel Ruegen ! ob ich den Brief irgendwo franquiren muß weiß ich freilich nicht. Deine Nachrichten von den Dohnas haben mich sehr gefreut – ach ich lebe viel im Andenken an Alle, vorzüglich aber der seligen Friderique – woher komt das? wo ist Louis – Kinder sind ihm gestorben – aber leben ihm auch welche? hat Wedeke meinen Brief bekomen? lebt die Gräfin von Amélie Louise Caroline Gräfin zu Dohna-Schlodien-Carwinden [Schließen] Karwinden noch? | 25v
d 7t
Gestern in der MitternachtsStunde habe ich den ersten Brief an Jetchen
vollendet
– schwer wird mirs immer mich von denen Briefen an meine
Lieben zu trennen – und wie erst von diesem.
Vielleicht helst Du dies für Egoismus – ich habe mich schon
darüber geprüft – finde aber nichts als eine süße
Schwärmerey darinn – mich von dem womit ich eine liebe
Abwesende angesprochen – und gleichsam das liebe
Bild untergeschoben zu trennen – erscheint Dirs anders??? –
Sachanmerkung:
Dein ... stolz machen.–] Schleiermacher reiste im August/September 1808 in
geheimer politischer Mission nach
Königsberg
und traf dort auch die Königsfamilie, vgl. Brief
*2897.
machen.–] lies: machen. –
[Schließen]
Dein Leben mit den Kindern des
Königs
– deine Unterhaltung mit der verkanten doch angebeteten Louise
konte dich stolz machen.–
wenn anders dergleichen Menschen die von
Kindheit an mit den Gebildeten und Höheren umgegangen stolz
machen kann! wenn aber der Ruf zur Königin, Folge, von
dem was du in deinen Schriften den Gelehrten darstelst –
oder auch die Freude über deinen patriotismus; so freue ich mich des Gelingens
deines Strebens – und Deiner Anhänglichkeit an
das Land wo der gute Gemeint ist der Vater Schleiermachers. [Schließen]
Selge
so lange unter manchen Strapazen – das
verkündigte – was Er glaubte
–, und über die guten Edlen, die das zu schäzen
wißen. Vgl. Friedrich Schleiermacher: „Predigten. Zweite
Sammlung“ (1808); bei der kleinen Schrift handelt es sich um „Zwei
unvorgreifliche Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens
zunächst in Beziehung auf den Preußischen Staat“ von 1804, in der
Schleiermacher auf das Gesangbuch der Brüdergemeinde eingeht, besonders
S. 101-111 (KGA I/4, S. 418-423). [Schließen]
Auf deine Predigten, binn ich
begierig –
eben so, auf die kleine Schrift –
welche in die Hände des CabinetRathes gekommen,
wozu du das Gesangbuch der Brüder Gemeine gebraucht
hast. Was soll ich Dir zum 21ten sagen mein Herz ist zu voll
und in diesem Gewühl der mannichfachen
DankEmpfindungen ergreife ich die
Bibel – schlage den 71ten Psalm auf – und
finde recht vieles was auch Deine Stimmung
ausdrüken wird – wohl eine Anspielung über einen Streit über das
alte Testament [Schließen]Nimm es an es ist ja aus dem Buche –
was Dir auch gewiß (troz des Streites den wir vor
12 Jahren darüber hatten)
am linken Rand
Sachanmerkung:
von ... andere führt] 2 Kor 3,18
[Schließen]– Trost und Licht giebt und dich
von einer Klarheit in die andere
führt
mit Innigkeit umarmt dich Deine Lotte.
Zitierhinweis
Download