An Schleiermacher [Autorfußnote Bl. 42v]

Am 2 Weihnachtstage 1808

Kennst Du es wohl lieber Schleier daß man sich recht freuen kann, und doch dabei im Herzen bewegt sein, bis zu Tränen? Kenst Du es? Sieh’ es ist so, ohngefär: als wenn an einem milden Frühlingstage, ein fruchtbarer Regen in den Wolken schwebt;  Gen 9,13–16 [Schließen] der Bogen des Friedens steht am Himme l, und hin und wieder wird die Landschaft beleuchtet vom heitern Blick der Sonne.

So lieber theurer Bruder war mirs diesen Weihnachten. So war mirs als ich Dein liebes Bild sah. Nie in meinem Leben sah ich etwas schöneres. Nie so den Geist des Menschen bezeichnet im Bilde – nie! – Du weist es wohl schon auch von den Andern wie  Henriette Charlotte Sophie von Willich [Schließen] Jettchen das Bild bekam, wir zogen die kleine  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette ein weißes Kleidchen an, und  Vom Hg. korrigiert. und machten ihr Flügel, und so brachte sie Dich der Mutter. Jettchen wird Dir selbst ihre Freude beßer sagen als ich. Von mir also sage ich Dir nur, wie es ein jeder von sich selbst thun wird. Wenn Du so still da stehst lieber Schleier, und doch so lebendig, und ich Dir dann guten Morgen oder gute Nacht sage, so fällt es mir gar nicht anders ein als daß ich auch ein Recht an Dich hätte mir ist als sprächst Du mit mir auch, und sähest mich gerne vor Dir stehen, Gestern am ersten Festtage saß ich eine ganze Zeit allein mit einer Arbeit bei Dir, und Du sahst so ernst und heilig und from aus! recht als wenn Du Jesus Christus Dir die Hand gereicht hätte indem Du | 41v sein Bild betrachtetest.

Lieber Schleier, nun zum lezten Mal machte ich unsern   Henriette Pauline Marianne und Ehrenfried von Willich  [Schließen] Kindern ihre Bäume. Ich habe es alle Jahre gethan, vor zwei Jahren war   Ehrenfried von Willich  [Schließen] Ehrenfried dabei, und drei mal erst hat die kleine Jette einen Baum erhalten, und Friedchen erst ein mal. Die Kinder waren so süß bei ihrer Weihnachtsfreude, und die kleine Jette schon ein Engel als wir ihr das weiße Kleid an zogen und die Flügel machten, und das Bild zeigten, und ihr sagten, es sei lieben Schleier sein Bild, und sie soll es Mutter schenken. Und Schleier wie werden Sie Friedchen verändert finden, o wie wird er Ehrenfried gleich werden – Schleiermacher, Vgl. Brief . [Schließen] Du hast es mir versprochen, die Eigenthümlichkeit der Kinder, recht heraus zu bilden und zu pflegen und zu schüzen, Sieh’ dann bin ich gewiß, daß Ehrenfried uns wieder hervorgehen wird aus  korr. v. Hg. aus: seinem Kinder seinen Kindern o der Junge ist gar zu lieb und gut! und so klug ist das Kind, und so recht frisch und fröhlich, und man kann mit ihm umgehen, so leicht und ohne zu grübeln, und zu sorgen obs auch wohl recht sei – Nein er ist ein gar zu herlicher Junge lieber Schleier, und bei der Lust die man sich mit ihm machen kann, habe ich ordentlich eine innerliche Achtung und Ehrfurcht gegen das Kind! und in diesem | 42 Sinne drücke ich oft einen Kuß auf des Kindes Haupt – das so ganz die Form hat wie des Vaters Kopf – es soll mich wundern ob Du es nicht auch finden wirst, wenn Du ihn wieder siehst.

 wohl Brief  [Schließen] Für Dein leztes kleines Blatt danke ich Dir besonders herzlich. Ja theurer Bruder ich weiß es wohl, Du wirst mich nicht verlaßen. Auf Deine Treue will ich leben und sterben. Und glücklich werde ich sein wenn der Todt mich trift, einmal in Deine Nähe, gerne will ich fern von Euch leben, wenn ich nur in diesen Augenblick bei Dir sein könnte wie würdest Du mich stärken mein Bruder mit Deinem Gebet, mit Deinem Seegen! so hoffte ich es sonst von Ehrenfried – !

Ich wollte noch an   Anne (Nanny) Maria Louise Schleiermacher  [Schließen] Nanny schreiben, aber die Zeit ist verstrichen – doch fieleicht noch.

Ich soll dafür sorgen daß wir nicht zu sehr in die kleinen Läppchen(?) hinein kommen? Lieber Schleier, weist du noch wie ich Dich bat, Du mögest nun künftig auch nicht allein an Jettchen nur schreiben? Du fragtest darauf „warum sollte ich nur allein an Jettchen schreiben“? ich wuste es wohl und schwieg, und dachte Du würdest es auch wohl wißen. Sieh und darum schreib ich jezt auch weniger an Dich wie sonst, denn es geht mir noch mehr nahe keinen Brief von Dir zu bekommen, wenn ich an [Dich] geschrieben habe, als wenn ich nicht geschrieben habe. Heute ist es nun Festag, und da mache ich mir nun die Freude ein mal wieder so an Dich zu schreiben | 42v wie ich nur an Dich schreiben kann, und Dein Bild soll mir antworten, und nicht betrüben will ich mich wenn ich keinen Brief bekomme.

Adieu lieber Schleier

Deine Luise

Zitierhinweis

3010: Von Luise von Willich. Montag, 26. 12. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006839 (Stand: 26.7.2022)

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